Verantwortung nicht nur für die „Großen“: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist eine gesellschaftliche Aufgabe

12.04.2023

„Sie können die Baumwolle kaufen oder Sie können sie nicht kaufen. Mehr Möglichkeiten haben Sie am Ende nicht – so sehr Sie sich auch bemühen, das Richtige zu tun.“ Andreas Merkel brachte in der Fragerunde der Panel-Diskussion zum nachhaltigen Lieferkettenmanagement eine simple Wahrheit auf den Punkt. Allerdings, so waren sich die Diskutanten einig, ist diese Ja-Nein-Frage durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) kaum leichter zu beantworten als bisher.
Nachvollziehbares Bemühen
Am 4. April 2023 hatte global verantwortlich BW und UPJ nach Stuttgart zu einer Infoveranstaltung zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) eingeladen. Vormittags ging es um die Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetztes, das seit diesem Jahr für Unternehmen mit über 3.000 Mitarbeitenden in Kraft getreten ist. Nach einer Einführung von Günther Schmid vom Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg berichtete Torsten Safarik vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) von den praktischen Erfahrungen seiner Behörde mit dem Gesetz. Er sei überzeugt, dass das Gesetz „nichts Unmögliches“ verlange, und dass die Unternehmen, die es erfüllen wollten, dies auch könnten. Schließlich müsse „das Bemühen nachvollziehbar sein“; niemand fordere, dass „weltweit deutsche Arbeitnehmergesetze eingeführt werden“.
Jedes Unternehmen kennt die Hotspots seiner Lieferkette am besten
Nach den Vorträgen fanden sich die Besucher in verschiedenen Panels zusammen. Markus Liller von der Firma Lapp, Lisa Kuoy und Erik Schmidt von Fuchs Lubricants Germay sowie Andreas Merkel von Gebr. Otto stellten unter der Überschrift „Lieferantenbeziehungen nachhaltig gestalten“ die entsprechenden Maßnahmen in ihren Unternehmen vor. Markus Liller illustrierte anhand eines überflüssigerweise aufgespannten Regenschirms die Begriffe Risikoanalyse und Risikomanagement. Dem stimmte Andreas Merkel von Gebr. Otto – ohne Regenschirm – zu: Jedes Unternehmen kenne die Hotspots seiner Lieferkette, bei denen es als erstes nachzuhaken gelte.
Transparente Lieferketten aus Überzeugung
Mit rund 160 Mitarbeitenden fällt das Textilunternehmen Gebr. Otto bisher nicht unter das LkSG. Warum sich der kleinere Mittelständler trotzdem zu den geforderten Standards bekennt, erklärte Geschäftsführer Andreas Merkel in seinem Kurzvortrag: „Nachhaltigkeit und Transparenz sind Teil unserer DNA.“ Ein weiterer Grund seien die Kunden von Otto: „Unsere Kunden sind Premiumhersteller im Bekleidungsbereich, die Transparenz verlangen.“ Da das Unternehmen ganz am Anfang der Kette steht, ist es relativ leicht, an deren Ursprung vorzudringen.
Baumwolle als „schwieriges“ Rohmaterial
Gleichzeitig hat Otto Garne mit einem per se schwierigen Rohmaterial zu tun: der Baumwolle. Die Rohware aus Israel oder den europäischen Mittelmeerstaaten sei selbstverständlich „unbedenklich“, so Merkel. Anders sei das beispielsweise bei Ursprungsländern wie Burkina Faso, wo Gebr. Otto Baumwolle mit dem Fair Trade Siegel einkauft: „Die Frauen dort haben im Durchschnitt fast fünf Kinder. Natürlich bringen sie die teilweise zur Arbeit mit und natürlich gehen diese Kinder ihren Eltern zur Hand. Ist das dann Kinderarbeit? Oder eine Chance für die Eltern, Geld zu verdienen, um ihre Kinder in die Schule schicken zu können?“. Für Andreas Merkel keine leichte Entscheidung. Er verlässt sich in diesem Fall auf die Fair Trade Standards. Eine Black List führt man bei Gebr. Otto jedoch sehr wohl. „Wir prüfen immer sorgfältig und bemühen uns, das Richtige zu tun“, so Merkel.
Lieferkettengesetz als Chance verstehen
Vor allem in der Bekleidungsindustrie sieht Andreas Merkel das neue Gesetz als Vorteil. Transparenz und Nachhaltigkeit sind nachweislich Teil jedes Otto-Produkts. Zu diesem Zweck unterzieht sich das Unternehmen regelmäßig externen und Kunden-Audits. Andreas Merkel: „Das LkSG gibt uns eine weitere Möglichkeit, um uns vom Wettbewerb abzusetzen.“
Deutsche und europäische Perspektiven
Am Nachmittag ging es um die Perspektiven und die Weiterentwicklung des Gesetzes. Den Auftakt gab die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut in ihrer Keynote. Sie stellte klar, dass die Durchsetzung global verankerter Menschenrechte eine gesellschaftliche Aufgabe sei. Die könne und dürfe nicht Unternehmen zugeschoben werden. „Wenn sich dadurch Mittelständler zurückziehen müssten, wäre wenig gewonnen“, so die Ministerin. Ihr folgte Dr. Jürgen Gleichauf der Mercedes-Benz Group AG, der die Zuhörer zu Weitsicht aufforderte: „Eine Selbstverpflichtung mündet meist in ein Gesetz. Darauf kann man und sollte sich jedes Unternehmen vorbereiten.“ Den Abschluss der Vorträge bildete Giorgia Miccoli von CSR Europe. Sie stellte die Corporate Sustainability Due Diligence Directive vor, das europäische Pendant zum LkSG.

Bilder: Philipp Hüttenhein https://photografia.huettenhein.com/

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