Gut fürs Fachwissen, gut fürs Netzwerk und gut fürs leibliche Wohl: Dafür – und bestimmt für weitere Vorteile 😉 – sind die Praxis-Workshops bei Gebr. Otto in Fachkreisen bekannt und beliebt. Ebenfalls ein verlässliches Highlight im Programm ist ein Rundgang durch die Spinnerei in Balzheim.
Anfang Juli fand die jüngste Ausgabe im Schulungs-Center in Dietenheim statt. Das Thema: Recycling und der Green Deal.
Green Deal und alles, was dazu gehört
Referentin Nicole Hühn vom Institut für Textiltechnik in Augsburg, kurz ITA, tauchte gleich ins Thema ein, quasi per Kopfsprung: Seit rund sechs Jahren beschäftigt sich die Wissenschaftliche Mitarbeiterin am ITA mit dem Green Deal und den verschiedenen dazugehörigen EU-Gesetzgebungen. Ihrem Publikum gab sie einen Überblick über die aktuelle Gesetzeslage, die derzeit von „später“ und „weniger“ bestimmt wird.
Die mit dem Green Deal einhergehenden Pflichten machen Unternehmen zu schaffen; Andreas Merkel hatte eingangs auf Insolvenzen in der Branche hingewiesen. „Derzeit gibt es zwar eine Verschnaufpause, aber die sollten die Betriebe auch nutzen“, mahnte Hühn, denn: Das Ziel des Green Deal ist weiterhin ein klimaneutrales Europa bis 2050. Bis 2030, so das Zwischenziel, soll der Ausstoß von Treibhausgasen um 55 Prozent reduziert sein.
ESPR und EPR: für die Textilindustrie im Mittelpunkt
Für die Textilindustrie zentral sind die Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR) sowie die EPR, die erweiterte Herstellerverantwortung. Erstere verlangt, dass Produkte haltbar, reparierbar, wiederverwendbar und recyclingfähig sind und unter effizientem Einsatz von Material und Energie hergestellt wurden. Der digitale Produktpass, kurz DPP, ist das Mittel der Wahl, um die Daten entlang der Wertschöpfungskette zu erfassen und Transparenz bieten. Die wiederum ist nämlich nötig, um der EPR nachzukommen.
Garn aus pre-Consumer-Waste: recot² von Gebr. Otto
Nach der Mittagspause – Maultaschen mit Salat unter der Otto-Eiche im Werkshof – schloss sich Andreas Merkel mit seinem Vortrag zu recot² an. Unter dieser Marke stellt Gebr. Otto ein Garn aus 25 Prozent recycelter Baumwolle her.
Die Basis für das Recyclingmaterial sind Spulenreste und Webkanten. Pre-Consumer-Waste, wie es im Fachjargon heißt. Das ist ein wichtiger Parameter im Faser-Recycling. Andreas Merkel: „Ein Altkleidersammler hat Post-Consumer-Waste vorliegen, eine kunterbunte Mischung an Textilien, und damit keine Ahnung, welche Stoffe sich genau darin verstecken“. Bei Otto weiß man im Gegensatz dazu genau, was in den Prozessabgängen steckt. Zudem ist der Rohstoff sehr homogen.
Die recycelten Fasern werden in einem eigens von Otto entwickelten Spinnverfahren mit 75 Prozent Virgin Cotton zu einem recot²-Baumwollgarn versponnen. „Wir verzeichnen seit Jahren eine steigende Nachfrage nach diesem Garn“, erklärte Merkel. „Das ist zwar noch kein 100-Prozent-Recycling, aber ein guter Ansatz.“
Nächste Stufe: Garn aus Post-Consumer-Baumwolle
In Kooperation mit dem Recycling Atelier des ITA Augsburg und zwei weiteren Unternehmen arbeitet Gebr. Otto schon an der nächsten Stufe: einem Baumwollgarn aus einem möglichst hohen Anteil an Baumwollfasern aus Post-Consumer-Recycling. Als „Rohmaterial“ dient Tischwäsche, die ein Mietwäscheservice ausgemustert hat. Erreicht hat die Projektgruppe ein Garn mit einem Recycling-Anteil von 50 Prozent in einer Feinheit von 28/1, das nun zu einer textilen Fläche verwoben werden soll.
Loraine Labus vom ITA Recycling Atelier stellte das Projekt den Zuhörenden vor. Als Herausforderung nannte Labus die kürzere Faserlänge der wiederaufbereiteten Baumwolle. Das schränkt deren Verspinnbarkeit ein. Loraine Labus: „In der 50:50 Mischung hat Gebr. Otto in seiner Ringspinnerei ein Ergebnis erreicht, das die gewünschten Eigenschaften erfüllt.“ In Zukunft will man sich am ITA noch intensiver um die Staubentwicklung und den Faserflug kümmern.
Blaupause für individuelle Lösungen
Andreas Merkel dankte der Referentin und nannte das Projekt „ambitioniert“, denn „Mietwäsche hat schon einiges an Leben auf dem Buckel, wenn sie ausgemustert wird.“ Und: „Aus Abfall wird kein Gold mehr.“ Als Blaupause für Kunden, die individuelle Lösungen zur Weiterverarbeitung ihres Abfalls suchen, seien die Ergebnisse des Projekts sehr wertvoll.