„Dann nehmt halt mich“: Wie Nursel Özkalin zufällig zu Otto kam – und blieb

20.09.2024

Nursel Özkalin ist so etwas wie das Gesicht von Otto. Mit ihrem blonden Lockenschopf und einem Lächeln, das man einfach erwidern muss, taucht sie auf vielen Bildern auf: mal zwischen bunten Spulen, mal mit Schutzbrille und Labor-Equipment finden wir sie auf der Website, in Broschüren und Social Media Posts.
Dabei ist es eigentlich reiner Zufall, dass sie bei Otto gelandet ist.

Seit wann bist du bei Otto?
Ich bin seit 1989 bei Gebr. Otto. Ins Haus gekommen bin ich zufällig, weil ich meinen Schwiegervater, der kein Deutsch konnte, als Dolmetscherin begleitet habe. Er hatte auf Vermittlung des Arbeitsamtes ein Vorstellungsgespräch bei Otto, wurde aber nicht eingestellt. Weil sich das schon direkt nach dem Vorstellungsgespräch abzeichnete, habe ich gescherzt: „Jetzt habt ihr den alten Mann nicht genommen, dann nehmt eben mich.“ Die Dame am Empfang hat mich sofort beim Wort genommen und mir gesagt, ich solle am nächsten Tag Arbeitserlaubnis und Pass mitbringen. Ich bin Türkin, da braucht es diese Unterlagen für einen neuen Job. Ich habe noch versucht, zurückzurudern, ich bin schließlich gelernte Friseurin … Aber da war nichts zu machen! Also habe ich am Folgetag die Unterlagen vorgelegt – und wurde direkt eingestellt. Wenn es nach meinem Vorgesetzten gegangen wäre, hätte ich schon am nächsten Tag, einem Mittwoch, zur Arbeit erscheinen sollen, aber ich konnte den Montag der Folgewoche „raushandeln“. Das war der 16. Januar 1989.

In welcher Abteilung hast du angefangen?
„Feine Hände, feine Arbeit“ sagte mein Vorgesetzter. Er hat mir schon am Tag meiner Einstellung meinen Arbeitsplatz „in der Kunstseide“ gezeigt. Wir haben dort Viskosegarne umgespult.

Heute gehörst du zum festen Inventar im Labor. Wie kamst du von der „Kunstseide“ dorthin?
In der Kunstseide-Abteilung habe ich zehn Jahre lang gearbeitet, bis 1999. In der Zwischenzeit kam mein Sohn auf die Welt. Mit einem kleinen Kind wurde die Schichtarbeit schwierig, zumal ich immer Vollzeit gearbeitet habe. Ich brauchte eine andere Aufgabe, sonst hätte ich aufhören müssen. Ich habe das Gespräch mit Herrn Otto gesucht, der meine Nöte gut verstanden hat. Er hat mich in den Packraum versetzt, wo ich Tagschicht arbeiten konnte.
Es folgte eine Zeit, in der ich gesundheitlich angeschlagen war, deshalb musste ich meine Arbeitszeit reduzieren. Herr Otto hat mich auch in diesem Fall enorm unterstützt. Als ich wieder in Vollzeit zurückkehren konnte, habe ich meine Tage aufgeteilt: vormittags in der Packerei, nachmittags im Labor. Das hat sich als schwierig erwiesen, weil ich im Labor den Kopf noch in der Packerei hatte. Deshalb durfte ich nach kurzer Zeit komplett ins Labor umziehen.

Was sind deine Aufgaben?
Ich gebe Rezepte ein, rühre Farbstoffe an und prüfe Echtheiten. Aus den gefärbten Garnen machen wir einen Strang und eine Wickelkarte, die dann eingemessen wird. Gelegentlich stricke ich an unserer kleinen Strickmaschine auch mal ein Muster, wenn das der Kunde möchte.
Heute kenne ich meine Aufgaben im Schlaf, aber die Anlernzeit war schwierig, weil man mehrere Dinge gleichzeitig im Auge haben muss. Als ich neu im Labor war, sollte ich eine bestimmte Färbung vornehmen, eine Indanthrenfarbe. Ich habe den Farbstoff eingestellt, die Spule eingesetzt und den Färbeprozess gestartet. Dummerweise sah die Spule nach dem Färbeprozess aus wie vorher, also vorgebleicht, aber nicht farbig. Nach dem dritten erfolglosen Versuch bin ich dann zur Färbereileiterin gegangen, um sie um Hilfe zu bitten. Gemeinsam haben wir festgestellt, dass ich den falschen Farbstoff gewählt hatte: Farbstoff und Färbeprozess waren nicht kompatibel, deshalb nahm die Spule keine Farbe auf.
Heute ist übrigens die Art der Färbung meine liebste geworden. Sie hat in unserem Team den Spitznamen „Nursel-Küpe“.

Wenn wir richtig gerechnet haben, bist du seit 35 Jahren bei Otto. An welche Highlights erinnerst du dich gerne?
Mein schönstes Erlebnis war eine Mail von Herrn und Frau Otto, die die beiden anlässlich meines 25-jähriges Jubiläums an Andreas Merkel gesendet hatten. Sie waren zu dem Zeitpunkt verreist und konnten nicht persönlich dabei sein. Andreas Merkel las diese Mail an meiner Jubilarfeier vor. Das hat mich unglaublich berührt, weil die beiden an mich gedacht haben, obwohl sie so weit weg waren.

Berührt hat mich auch eine andere Geschichte: Bei Otto arbeiten einige Frauen muslimischen Glaubens. Sie beten fünf Mal am Tag. Je nach Jahreszeit fallen mehrere Gebete in die Zeit, während wir beim Arbeiten sind. Die Frage ist, wie man das unterbringt. „Am liebsten nicht heimlich“, haben mir die Frauen gesagt. Also sind wir zu Andreas Merkel gegangen und haben gefragt, ob wir beten dürfen. Ohne Zögern hat er „Ja“ gesagt – und gleich gefragt, ob wir einen separaten Raum brauchen oder ob die Maschinen für die Zeit des Gebets abgestellt werden sollen. Das alles braucht es gar nicht, die Frauen beten hinter den Maschinen oder in der Umkleide. Alle Kollegen wissen Bescheid und das Gebet der Frauen ist Teil unseres Arbeitsalltags.

Worauf freust du dich in Zukunft?
Ich arbeite sehr gerne bei Otto – und das, obwohl ich nicht mal Dietenheimerin bin, sondern nur „reingeschmeckt“. Eigentlich komme ich aus Göppingen, zu Otto bin ich wie bereits erwähnt wegen meinem Schwiegervater gekommen. Der hat übrigens bei der Stadt Dietenheim seinen Platz gefunden. Für mich ist Dietenheim Otto, denn seit ich hier lebe, habe ich nirgendwo anders gearbeitet. Ich wünsche mir, dass das auch in Zukunft so bleibt, denn die Atmosphäre hier ist gut und wir sind ein großartiges Team.

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